Im Gespräch mit Marc Röggla, dem Leiter des Center for Autonomy Experience an der Eurac, über die Bedeutung der Wissensvermittlung, das Autonomiebewusstsein der Südtiroler und die Zukunft der Autonomie.

Herr Röggla, Sie sind Leiter des Center for Autonomy Experience an der EURAC in Bozen. Kann man Autonomie „erfahrbar machen“?

Man muss sich vorstellen, Südtirol hatte bis vor 30 Jahren keine Forschungstradition. Als die Eurac Research im Jahr 1992 als Forschungsinstitut gegründet wurde, fiel die Wahl also auf Forschungsthemen, die für das Land relevant sind -Minderheitenrecht, Föderalismus und Mehrsprachigkeit. Mit der Zeit wurde immer deutlicher, wie wichtig es neben der wissenschaftlichen Tätigkeit ist, auch das Wissen um unsere Autonomie stärker zu vermitteln. Und hier kommt das Center for Autonomy Experience ins Spiel. Das Kompetenzzentrumnahm seine Arbeit im Jänner 2020, also kurz vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie, auf. Unsere Aufgabe ist genau diese Wissensvermittlung. Zudem kümmern wir uns um die Betreuung von internationalen Delegationen, die nach Südtirol kommen, um die Autonomie kennenzulernen. Auch diesen Bereich galt es zu professionalisieren.

 

Sie haben es angeschnitten: Südtirol wird von zahlreichen autonomieinteressierten Delegationen besucht. Ist unsere Autonomie im internationalen Vergleich tatsächlich so toll, wie wir immer behaupten?

Ja. Die Südtiroler Autonomie ist einer der erfolgreichsten Konfliktlösungsmechanismen der Welt. Wir haben es geschafft, den Konflikt zu befrieden. Natürlich ist es nicht möglich, unsere Lösungen 1:1 auf andere Länder der Welt zu übertragen. Aber unser Erfolgsmodell kann vielen anderen Minderheiten eine Richtschnur sein. Konfliktlösungsmechanismen werden in unserer vielschichtigen Welt immer wichtiger. Und –und das ist die Politik von Landeshauptmann Arno Kompatscher– je stärker die Südtirol-Autonomie im Ausland als Erfolgsmodell gilt und wahrgenommen wird, desto mehr sichern wir unsere Autonomie damit ab, desto besser ist es um ihren Schutz bestellt.

Südtirol und die Welt: Delegationen aus 53 Ländern haben Südtirol bereits besucht, um die Autonomie kennenzulernen.

Geht es auch darum, dass wir als sehr gut geschützte Minderheit eine Bringschuld haben?

Ganz genau. Als bei uns der Konflikt brannte, wurde auch uns viel geholfen. Nun gilt es, anderen Minderheiten auf der Welt Hilfestellung in Autonomiefragen zu geben. Mit der Autonomie hat Südtirol ein Thema mit Vorbildfunktion, quasi ein Alleinstellungsmerkmal. Das Center for Autonomy Experience macht kein Autonomie-Marketing, sondern vielmehr „science diplomacy“. Diese Schaffung von Kontakten durch Wissensvermittlung spielt weltweit eine immer größere Rolle.

 

Und wie ist es um das Autonomiebewusstsein der Südtirolerinnen und Südtiroler bestellt?

Die Autonomie begleitet uns tagtäglich, aber wir Südtirolerinnen und Südtiroler merken oft gar nicht, in wie viele Bereiche unseres Alltags sie hineinspielt. Als Center for Autonomy Experience ist es uns daher wichtig, für die lokale Bevölkerung politische Bildung im Bereich Autonomie anzubieten. Durch den Ausbruch der Corona-Pandemie haben wir uns stark auf die Schaffung digitaler Angebote konzentriert und E-Learning-Materialien erstellt. Den Anfang machte der Kurs „Autonomy of South Tyrol“ in englischer Sprache für ein internationales Publikum. In der Folge entstanden E-Learning-Kurse zur Geschichte Südtirols und zur Euregio ebenso wie ein Kurs zur Südtirol-Autonomie in deutscher und italienischer Sprache für Südtirols Mittel-und Oberschülerinnen und -schüler. Auch ein 10-minütiges Erklärvideo zu Südtirols Autonomie ist dabei. Dazu bieten wir Workshops für Schulklassen an und arbeiten mit dem Südtiroler Landtag in der Betreuung von Schulklassen zusammen.

"Science is not finished until it’s communicated"

Wissensvermittlung ist also das Gebot der Stunde?

Ja, in alle Kurse ist das Know-how meiner Forschungskolleginnen und -kollegen mit eingeflossen. Wir haben viel aus dieser Zusammenarbeit gelernt. Unser Auftrag ist erst dann erfüllt, wenn wir die wissenschaftlichen Erkenntnisse, zu denen wir hier an der Eurac gelangen, auch kommuniziert haben. Da halte ich mich gerne an die Worte von Sir Mark Walport: „Science is not finished until it’s communicated“. Es gilt, eine Balance zwischen Wissenschaft und Inhaltsvermittlung zu finden.

 

2022 steht das Jubiläum „50 Jahre Zweites Autonomiestatut“ an. Wie wird sich das Center for Autonomy Experience daran beteiligen?

Neben wissenschaftlichen Seminaren und Konferenzen, die wir mitorganisieren, haben wir 2022 drei Projekte geplant, um das Thema Autonomie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen: In Zusammenarbeit mit den Vereinigten Bühnen Bozen (VBB) wird gemeinsam mit jungen Südtiroler Literaten ein Theater zur Autonomie entstehen. Darin wird es um die Werte des Südtiroler Autonomiestatuts und deren Aktualität gehen. Die Präsentation in verschiedenen Südtiroler Städten ist für Frühjahr vorgesehen. Der Filmclub Bozen plant eine Filmreihe zu Minderheiten-Situationen in allen Winkeln der Erde. Zu jedem Film wird es für die Bürger eine Einführung bzw. Gesprächsrunde mit einem Eurac-Wissenschaftler geben. Das dritte Projekt betrifft eine philosophische Woche zur Autonomie: In sechs Veranstaltungen im ganzen Land werden wir über den Autonomie-Begriff reden und ihn unter verschiedenen Aspekten -nicht nur politisch -beleuchten: Autonomie und Freiheit, Autonomie in den Naturwissenschaften, in den Weltreligionen etc. Zudem gilt es „50 Jahre Zweites Autonomiestatut“ zum Anlass zu nehmen, um einen Schritt weiter zu gehen und auch über die Zukunft der Autonomie zu sprechen. Denn unsere Autonomie ist kein Standbild. Sie entwickelt sich ständig weiter und wir müssen sorgsam mit ihr umgehen. Wie also können wir unsere Autonomie weiterentwickeln und zukunftsfähig machen? Auch das soll Gegenstand dieses Jubiläumsjahres sein.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

Wie also können wir unsere Autonomie weiterentwickeln und zukunftsfähig machen?

 

 

 

1987 in Brixen geboren. Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Innsbruck. 2013-2020 Wissenschaftler am Institut für Minderheitenrecht von Eurac Research (Forschungsschwerpunkte: Südtirol-Autonomie und Minderheitenmedien in Europa). 2015-2017 Co-Koordination des Südtiroler Autonomiekonvents für Eurac Research. Seit 2018 Generalsekretär der Europäischen Vereinigung von Tageszeitungen in Minderheiten- und Regionalsprachen (MIDAS). Seit 2020 Leiter des Center for Autonomy Experience an der Eurac.

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Center for Autonomy Experience: https://www.autonomyexperience.org

E-Learning Kurs zur Südtiroler Autonomie: https://e-learning.eurac.edu/en/autonomy-south-tyrol/#/

Kurs fürs junge Publikum: https://e-learning.eurac.edu/de/autonomie-1/#/

Video Wir.Noi.Nos: https://www.youtube.com/watch?v=-C7BMPb4OlI

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