Auf „präpotente“ Weise stellte das Coronavirus die Musikschulen im Lande vor große Schwierigkeiten. Doch Musiker finden auch daran Positives, wie der LP-Gastbeitrag eines Musikschul-Direktors zeigt.

Nicht alles ist negativ! Mit diesen Worten blickt das Lehrerkollegium der Musikschuldirektion Überetsch/Mittleres Etschtal auf den Unterricht im Zeichen der Corona-Einschränkungen zurück. Ein Fazit, das Mut macht. Doch fangen wir am besten von ganz vorne an … Vor fast genau einem Jahr spürten auch die Musikschulen unmittelbar die Folgen des Lockdowns. Auch unsere Schule wurde mehr oder weniger über Nacht geschlossen. Niemand war darauf vorbereitet. „Fernunterricht“ – eine für die Musikschulwelt völlig neue didaktische Herangehensweise an den Unterricht – drängte sich präpotent in den didaktischen Alltag:

Neue Begriffe wie Unterrichtsvideo, Audioaufnahme, Zoom, WhatsApp, Teams/Snets, Videoschnitt, YouTube/YouTube-Kanal, Tutorials, Interface, Onlinekonzert und später dann auch LIVE-Streams … all das gesellte sich schon bald zum Begriff Fernunterricht dazu.

Wie soll der Instrumentalunterricht ohne Schülerinnen und Schüler funktionieren? Im ersten Moment schien das ein Widerspruch in sich. Alle althergebrachten Gewohnheiten und Abläufe fielen mit einem Schlag weg. Stattdessen Fragen über Fragen: Wie soll eine Gruppe von Instrumentalisten im Ensemble zusammenspielen? Wie sollen Kleinkinder im EMP-Unterricht (Elementare Musikerziehung) in der Gruppe singen oder sich im Rhythmus bewegen?

Eine didaktische und technische Revolution

Damit begann eine didaktische, vor allem aber technische Revolution: Mobiltelefon, Laptop und PC wurden zum zentralen Dreh- und Angelpunkt im täglichen Musikunterricht.

Technisch versiertere Lehrerpersonen starteten sogleich mit dem Instrumentalunterricht über Video. Und stießen schnell auf Probleme: schlechte Tonqualität, schwache Internetverbindungen, fehlende technische Geräte … Sie stellten aber auch fest: Diese Art des Fernunterrichts ist doch die beste Alternative zum Instrumentalunterricht in Präsenz.

Nach der ersten Startphase im Fernunterricht tauchten dann auch schon die ersten Ensembles in Video-Format auf. Die Ensemblestimmen wurden einzeln aufgenommen und dann im Video zusammengeführt. Solche Videos sind zwar ein schwacher Trost für das didaktisch so wichtige Ensemblespiel in Präsenz, dennoch stellen sie die einzige Alternative zum klassischen Ensemblespiel dar.

Auch Lehrerkollegium tagt online

In den fortan online geführten Sitzungen tauschte das Lehrerkollegium erste Erfahrungswerte zur Wirksamkeit des Fernunterrichts aus: Grundsätzlich ist die Situation natürlich völlig unzufriedenstellend, aber sie ist besser, als im ersten Moment befürchtet. Vor allem stellen die Lehrenden fest: Schülerinnen und Schüler reagieren ganz unterschiedlich auf die neue Situation.

Die Motivierten und Fleißigen sind meist auch im Fernunterricht motiviert und haben wenig Probleme. Problematisch ist der Unterricht für jene mit Schwierigkeiten, zum Beispiel bei Haltung, Rhythmus usw. Auch bei Schülerinnen und Schülern im ersten Unterrichtsjahr ist es oft sehr schwierig, die Motivation aufrechtzuerhalten und das didaktische Können der Lehrer am Schüler einzusetzen; Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel.

Neue Faszination, neue didaktische Felder

Es kristallisieren sich aber auch ganz neue didaktische Felder heraus: Der Unterricht aus der Ferne, mit so vielen technischen Hilfsmitteln, befeuert neue und andere Kompetenzen in den Schülerinnen und Schülern. Sie müssen selbstständiger werden, die Instrumente selbst stimmen, Videos aufnehmen, begutachten, neu aufnehmen, verschicken. Immer und immer wieder müssen sie sich in den Aufnahmen selbst zuhören. Auch die Arbeit an Ensemblevideos fordert ihnen ungewohnte Genauigkeit im Rhythmus und in der Intonation ab. Zugleich übt genau die Arbeit mit Kopfhörer, Videokamera, Mikrophon, Interface usw. auf viele Lernende eine neue, unerwartete Faszination aus.

Der neue Weg an die Öffentlichkeit

Anfang Mai 2020, zwei Monate nach dem ersten Lockdown, wurde auch für die Musikschulen klar: Im laufenden Schuljahr wird es keinen Präsenzunterricht mehr geben. Damit fallen auch die Konzerte, Projekte, sprich alle Veranstaltungen mit Publikum flach. Was also tun, fragte man sich auch an der Musikschule Überetsch/Mittleres Etschtal! Wie soll sich die Musikschule nach außen präsentieren? Wie kann sie die Leistungen der Schülerinnen und Schüler am besten an die Öffentlichkeit tragen? Im Lehrerkollegium begann eine fieberhafte Arbeit: Der rechtliche Rahmen war zu klären, eine geeignete Veröffentlichungsplattform zu suchen, ein „Konzertdrehbuch“ zu schreiben …

Am 29. Mai war es dann soweit: Die Musikschuldirektion veröffentlicht auf dem neu eröffneten YouTube-Kanal das erste digitale Abschlusskonzert: ein Blockflötenensemble mit fast 50 Teilnehmern, 28 zusammenspielende Pianisten, mehrere Blechbläser-Ensembles, ein Schlagwerkensemble, über 60 Singkinder im Chor und vieles mehr schallten dem Publikum vor den Bildschirmen entgegen. Wer hätte sich das träumen lassen?

Heute – im Februar 2021 – sind wir mitten drin im dritten Lockdown, immer noch an unsere Unzulänglichkeiten stoßend, etwas müde von der andauernden Planungsunsicherheit, aber mit vielen didaktischen und technischen Erfahrungen im Handgepäck. Natürlich sehnen sich alle den Präsenzunterricht zurück. Er muss wiederkommen. Aber die Faszination der digitalen Welt kann und wird als Erweiterung des klassischen Musikunterrichts bleiben. Sie ist ein Erfahrungsschatz, den wir an der Musikschuldirektion Überetsch/Mittleres Etschtal nicht mehr missen möchten!

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Musikschulen Online

Schnupperkonzerte, Ensembles, Chöre: In vielfältig-musikalischer Weise stellen Südtiroler Musikschulen ihre Tätigkeit auf ihren Youtube-Kanälen vor. Hier exemplarisch einige Links:

Musikschule Ueberetsch – mittleres Etschtal – YouTube

Musikschule Unterland – YouTube

Musikschule Sterzing – YouTube

Musikschule Oberer Vinschgau – YouTube

Musikschule Meran – YouTube

Musikschule Klausen – Seis – YouTube

Scuola Musica Vivaldi – YouTube

 

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