Die Baudenkmalpflege arbeitet ganzheitlich
Handlungsmuster und Instrumente für eine hohe und nachhaltige Baukultur. - Ein Gastbeitrag der Landeskonservatorin
Karin Dalla Torre: „Entgegen weit verbreiteter Vorbehalte beschäftigt sich Baudenkmalpflege intensiv mit der Energieeffizienz und Nachhaltigkeit.“
Am Beginn des Europäischen Jahres des Kulturerbes 2018 steht die „Erklärung von Davos 2018. Eine hohe Baukultur für Europa“, die von der Versammlung der europäischen Kulturministerinnen und Kulturminister verabschiedet wurde. Diese Erklärung definiert die Baukultur als Leitthema der gesellschaftlichen Entwicklung zu den Schlüsselbegriffen Kulturgüterschutz, Baukultur, Identität und Nachhaltigkeit.
Die Qualität der Baukultur
Sie hält fest, „dass sich überall in Europa ein allgemeiner Verlust an Qualität der gebauten Umwelt und der offenen Landschaften abzeichnet, was sich in einer Trivialisierung des Bauens, in fehlenden gestalterischen Werten und einem fehlenden Interesse für Nachhaltigkeit, in zunehmend gesichtslosen Agglomerationen und verantwortungslosem Landverbrauch, in einer Vernachlässigung des historischen Bestandes und im Verlust regionaler Identitäten und Traditionen zeigt.“ All das kennen wir auch in Südtirol. Leerzeichen einfügen auch das um sich greifende Verschwinden jenes Gebauten, das zu sichten und zu sichern wäre, muss uns beschäftigen. Der kulturelle Reichtum und die Landschaft sind unser Zukunftspotential, wir brauchen einen disziplinübergreifenden Dialog und eine gemeinsame Strategie über die Institutionen hinweg. Darin ist das gebaute Kulturerbe das Kraftzentrum des Diskurses, so formuliert es auch die „Erklärung von Davos“: Die Art, wie wir das Kulturerbe heute nutzen, pflegen und schützen, wird entscheidend sein für die zukünftige Entwicklung einer gebauten Umwelt von hoher Qualität. Auch die zeitgenössische Kunst ist dafür eine Ressource.
Ein Kunstwerk als Botschaft
Im Landesdenkmalamt im Ansitz Rottenbuch in Bozen ist an der Decke des frühbarocken Festsaales seit etwa einem Jahr das Lichtobjekt „WaltRose“ des Künstlers Manfred Alois Mayr zu Hause.
An ihrer Stelle hatte über Jahrzehnte ein vielarmiger venezianischer Kronleuchter aus Glas gehangen. Vor einigen Jahren hat sich dieses Kunstwerk aus mundgeblasenem Glas plötzlich von der Decke gelöst, um auf dem schönen Terrazzoboden zu zersplittern. Außer den zarten Glasblüten ist glücklicherweise niemand zu Schaden gekommen. Der bedeutende Künstler Manfred Alois Mayr hat die Reste geborgen und an einer Grundbotschaft der Denkmalpflege weiter gebaut. Was ist, darf bleiben und das Neue stellt sich eigenständig und qualitätvoll auf seine Weise dazu. Aus dem Zusammenspiel von Alt und Neu entsteht ein Mehrwert.
Bruchstücke des alten Lusters sind nun ebenso Teil der „WaltRose“ wie zahllose Teile von PET Kunststoffflaschen, Salatschüsseln aus Plastik oder Stücke von Gartenschläuchen. Um Recycling geht es hier nicht. Erst der zweite oder dritte Blick auf die riesige Blüte entdeckt das hintersinnige Spiel und die Botschaft: Jede Zeit darf weiterbauen auf ihre Weise, doch es ist eine Frage der Qualität. Die „WaltRose“ ist eine zeitgemäße Metapher für die Ziele des Kulturgüterschutzes. Das Kunstwerk beweist: Weiterbauen ist möglich.
„Denkmalschutz ist Klimaschutz“
„Denkmalschutz ist Klimaschutz“: Dieser Titel einer Diskussion im österreichischen Parlament im Herbst 2020 wirkt überraschend, weil alte Vorbehalte greifen. Zum Beispiel das Bild der Käseglocke, die Fortschritt und Zukunft verhindert. Eine starre Musealisierung ist nie das Ziel, alte Häuser brauchen neues Leben, das ihnen gerecht wird. Es heißt auch „Historische Gebäude sind Energiefresser.“ Dabei beschäftigt sich die Baudenkmalpflege intensiv mit dem Thema Energieeffizienz am Baudenkmal. Der schonende Umgang mit den natürlichen, materiellen und kulturellen Ressourcen schließt aber einen sorgsamen Umgang mit den nicht „erneuerbaren“ Baudenkmälern ein.
Die thermische und technische Gebäudeoptimierung ist wichtig, die speziellen Eigenschaften und Stärken der historischen Bauweisen sind zu berücksichtigen, und der historische Baubestand vor irreversiblen Fehlern zu bewahren. Diese Erfahrungen können auch auf das zeitgenössische Bauen übertragen werden.
Ein ganzheitlicher Ansatz
Der Denkmalschutz will nicht alles schützen. Er trifft aus jeder Zeit eine begründete Auswahl der wichtigsten Gebäude, dafür gibt es Kriterien. Der Ensembleschutz geht über das einzelne Bauwerk hinaus.
Doch der Schutz des Ungeschützten, der Umgang mit der alten Bausubstanz ist insgesamt wichtig. Die Gesellschaft soll ein Bewusstsein dafür entwickeln, was bleiben soll und was weichen kann. Es geht um die Baukultur als Kristallisationspunkt von Raumordnung, Landschaftsschutz, Naturschutz und Denkmalschutz.
Es gibt eine Haltung und ein Handeln beim Bauen, das im Land Südtirol nicht mehr an vielen Orten ohne Raubbau an der Landschaft und beliebiges Baugestalten stattfinden kann. Die Folgen sind ein rücksichtsloser Umgang mit Natur und Landschaft, eine Zersiedelung für gesichts- und wesenlose Bauten auf Kosten der Identität.
Das Projekt „Bauinventar Südtirol“
Um entscheiden zu können, was bleiben soll, braucht es Übersicht und eine gute Datenbasis. Aus diesem Bedürfnis ist im Landesdenkmalamt das Projekt „Bauinventar Südtirol/Archivio patrimonio edilizio“ entstanden. Dieses Großprojekt ist mit dem „Kunstkataster“ in Tirol, dem „Dehio“ oder anderen „Bauinventaren“ in der Schweiz vergleichbar, geht aber in einem ganzheitlichen Ansatz über das einzelne Bauwerk hinaus.
Es gibt noch keine Übersicht über das Gebaute im Land. Diese Erhebung konzentriert sich nicht nur auf die Bauwerke selbst, sondern auch auch auf die kulturlandschaftlichen Aspekte. Es entsteht eine multifunktionale Datenbasis für das ganze Land, die der Landesverwaltung, den Gemeinden, den Eigentümerinnen und Eigentümern sowie Planenden dient, nicht zuletzt auch dem öffentlichen Bewusstsein für die Qualität von Orten.
Das Pilotprojekt
Ausgehend von einer Piloterhebung in der Gemeinde Schluderns im Jahr 2020, die in Zusammenarbeit des Landesdenkmalamtes mit der Gemeinde entstand, werden alle 116 Gemeinden erhoben. Sämtliche Bauwerke werden darin nach bau- und kunsthistorischen, sowie volkskundlichen und kulturlandschaftlichen Aspekten aufgenommen, vom bäuerlichen Kleindenkmal bis zum technischen Kulturgut, vom Historischen Kataster bis in unsere Zeit. Derzeit wird die Piloterhebung ausgewertet, und das Instrument verfeinert.
Es entsteht eine breite Datenbasis zu den denkmalpflegerischen Interessen, zur Baukultur und der Identität des Ortes: Gebäude und Freiraum, Denkmal, Ensemble, ortsbildprägender Bau, Sichtachsen, wichtiger Straßen- und Platzraum, bedeutende Grün- und Freiräume. Es geht uns um die „Sachgesamtheit“, um den sachlich-fachlichen Überblick als Grundlage für eine Strategie im Umgang mit den Orten, damit sich identitätsbildende Elemente besser beschreiben und belegen lassen.
Das Langzeitprojekt ist multifunktional angelegt. Die Erhebungen zu den einzelnen Objekten werden in Pläne einfließen, die die Aspekte visualisieren. Das wird eine Basis für eine gezielte Unterschutzstellungsstrategie, kann als Grundlage für Ensembleschutzpläne und Leerstanderhebungen ebenso dienen wie für die Festlegung von Siedlungsgrenzen und die Gemeindeentwicklungspläne, die das neue Gesetz für „Raum und Landschaft“ vorsieht. Es ist auch als Werkzeug für die neuen Sachverständigen für Baukultur gedacht, die im Dialog mit den Ämtern des Landesdenkmalalmtes zu Schlüsselfiguren für die Entwicklung einer „hohen Baukultur“ werden sollen, im Sinne der „Erklärung von Davos 2018“: „Hohe Baukultur kann nur im interdisziplinären Diskurs und in sektor- und stufenübergreifender Zusammenarbeit von politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern, zuständigen Behörden und Fachleuten entstehen.“ Das ist das Ziel.
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