Abteilungsdirektor Volker Klotz im Gespräch über die Kultur in der Corona- Krise und ihre Zeit nach der Pandemie.

Im Juni vergangenen Jahres wurde nach wochenlangem Stillstand der Kulturbetrieb unter Sicherheitsmaßnahmen wieder hochgefahren. Wie hat es sich für Sie angefühlt, Kultur wieder unmittelbar erleben zu dürfen?

Es war ein großes Glücksgefühl, nach vielen digitalen „Sessions“ im Frühjahr wieder mit anderen Menschen in einem Raum zu sitzen und einem Konzert zuzuhören. Die Verbindung dieses gemeinschaftlichen Erlebens zwischen Publikum und Musikern war für mich deutlich spürbar. Mir ist einmal mehr bewusst geworden, was fehlt, wenn Kultur fehlt.

Südtirol hat eine vielfältige Kulturlandschaft – von Musikkapellen, Chören über Theaterbühnen und Ausstellungen bis zu Autorenbegegnungen, Kulturevents und anderem mehr reicht das Spektrum. Alle muss die Abteilung Deutsche Kultur, der Sie als Abteilungsdirektor seit vier Jahren vorstehen, bedienen.

Richtig. Wichtig ist für mich, dass wir in der Abteilung von einem weiten Kulturbegriff ausgehen, der auch die Jugendarbeit, die Weiterbildung, die Bibliotheken und die Medien gleichermaßen umfasst. Auch dort „passiert“ Kultur in einer sehr niederschwelligen Form.

Die Corona-Krise zeigt aber überdeutlich, wie verletzlich der facettenreiche Kulturbereich ist. Welche kurz- und mittelfristigen Auswirkungen hat die Pandemie darauf?

Die Krise hat gezeigt, dass die kulturelle Infrastruktur nicht imstande ist, der Krise angemessen zu begegnen. Hier schwingt mit, dass Kultur offensichtlich nicht systemrelevant ist. Kunst und Kultur sind zwar nicht relevant für das reine „Überleben“, sie sind meiner Meinung jedoch systemimmanent für das Leben schlechthin. Das kulturelle Miteinander und der kulturelle Austausch sind essenziell und machen das menschliche Leben aus. Verstärkt wird die Krise dadurch, dass die ökonomische Situation, die für Künstlerinnen und Künstler seit jeher prekär war, durch die Krise verstärkt wurde. Diejenigen, die ihr Leben der künstlerischen Innovation verschrieben haben, können sich auf keine Strukturen stützen, die sie in dieser kritischen Zeit verlässlich schützen und ihnen Sicherheit geben. Hier gilt es meiner Meinung nach anzusetzen und einen breit angelegten Diskurs zu führen.

Aber wie kann man es konkret angehen, damit die vielen kleine Rädchen, die ineinandergreifen, um das große Zahnrad Kultur in Südtirol am Laufen zu halten, dies auch nach dieser Krise tun?

Diese Krise hat eines gezeigt, dass es ein Anliegen aller sein muss, im Dialog nach Lösungen zu suchen. Ob uns dies gelingt, werden die kommenden Jahre zeigen. Auch wenn es dabei zu einem „Stau“ kommen wird, da aufgeschobene Produktionen und Projekte umgesetzt werden wollen und damit wenig Platz für Neues sein dürfte, stimmt mich die Tatsache, dass sich die Kunstschaffenden besser organisieren, durchaus zuversichtlich. Dadurch können Maßnahmen getroffen werden, wie die Finanzierungsbedingungen für Freischaffende besser gestartet werden können. Dabei sind die Kulturpolitik, die Kulturabteilungen, die „Standesvertretungen“ und die Kunstschaffenden gleichermaßen gefordert.

Im Zusammenhang mit den Finanzierungsbedingungen braucht es aber einen klaren Rahmen, der den Begriff Künstler absteckt.

Gerade darin liegt das Dilemma, da gemäß italienischer Verfassung Kunst und Kultur frei sind und es demgemäß kein „Berufsbild“ und keine Zugangsvoraussetzung dafür geben kann. Verbände setzen sich seit Jahren dafür ein. Auch die neugegründete PERFAS hat es sich u. a. zur Aufgabe gemacht, an einem „Künstlerverzeichnis“ zu arbeiten. Und in den Kulturabteilungen denken wir ebenfalls an ein solches Verzeichnis. Aber die Branche selbst sowie Interessensverbände und Kunstschaffende sind sich in der Frage des Zugangs nicht einig.

Trotz dieses fehlenden Zuschnitts wurde vonseiten der Landesregierung bereits im März vergangenen Jahres die Corona-Beihilfe von 600 Euro für Kunstschaffende aller Sparten auf den Weg gebracht. Zugleich wurde die Ausgestaltung dieser heftig kritisiert. Zurecht?

Die Landesregierung hat auf den über Nacht hereingebrochenen Lockdown sehr schnell reagiert. Die Beihilferegelung von 600 Euro lehnte sich an staatliche Förderungen an und konnte aufgrund geltender Normen gewährt werden, die für diese Maßnahme ein Projekt oder eine Initiative vorsehen. Dies wurde – das muss ich selbstkritisch sagen – zu wenig deutlich kommuniziert und führte zur angesprochenen Kritik. Ein weiterer Kritikpunkt war auch die Definition, wer Anspruch auf diese Beihilfe hatte, also wie der Begriff „Künstler“ definiert wurde. Niemand wusste zu diesem Zeitpunkt, wie lange diese Situation anhalten würde.

Nichtsdestotrotz sei die Frage erlaubt: Welcher Wert wird der Kultur im Vergleich zu anderen Branchen beigemessen? Oder andersrum gefragt: Misst die Gesellschaft der Kultur einen zu geringen Wert bei?

Leider wird die Kultur, auch aufgrund ihrer Vielschichtigkeit, in der Gesellschaft stärker als Unterhaltung und Freizeitgestaltung gesehen und weniger als das, was sie (auch) sein kann: Ausdruck humaner Sinnlichkeit, der Innovation, Individualität, eines kollektiven Bewusstseins oder der Bildung und der Entwicklung der Gesellschaft.

Und wie stehen Sie dazu?

Für mich stellen sich bei einem Kulturbesuch, beim Lesen eines Buches, beim Betrachten eines Bildes immer wieder die Fragen: Was macht das mit mir? Was zeigt mir das? Was hat das mit meinem Leben zu tun?

Gerade jetzt bräuchten Künstler und Kulturschaffende eine Lobby, aber sie haben keine. Wie erklären Sie sich das?

Die meisten Kulturschaffenden haben diesen Weg aufgrund von individuellen Lebensentscheidungen getroffen. So heterogen die künstlerischen Persönlichkeiten, so findig und vielfältig sind auch ihre jeweiligen Wege – auch der Finanzierung von Projekten, Tätigkeiten oder Aktivitäten. Diese Heterogenität erschwert unter Umständen Zusammenschlüsse, auch da die jeweilige individuelle Situation als allgemeiner Maßstab genommen wird.

Kultur hat auch einen gesellschaftspolitischen Auftrag. Die Corona-Zeit trägt dazu bei, dass bestimmte negative Verhaltensmuster innerhalb der Gesellschaft verstärkt werden. Welchen Beitrag soll und kann da Kultur in der aktuellen Situation leisten?

Kultur kann hier – wenn man sie lässt – durchaus einiges leisten. In und durch Kultur verhandelt die Gesellschaft ja ihre Regeln und der Einzelne wird sich seiner selbst bewusst. Die Haltung, wie wir miteinander oder mit der Krise umgehen, kann durch Kultur positiv gefördert werden. Es geht darum, wie wir diskutieren und wie wir miteinander streiten.

Lässt sich nach dieser Krise im Kulturbetrieb einfach zum Status quo ante zurückkehren oder wird es eine neue Idee von Kulturpolitik brauchen?

Es wird eine „neue“ Normalität geben, wie immer die auch aussehen mag. Unabhängig davon, dass Kulturpolitik auf dem politischen Parkett verhandelt wird, bei dem in Südtirol noch die Ebenen der Sprachgruppen und demzufolge auch der Blick durch unterschiedliche Brillen hinzukommt, würde ich mir wünschen, dass deutlicher wird: Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik und deswegen nicht eo ipso relevant, sondern sie speist sich aus den Erwartungen der Gesellschaft und ihren Funktionen für sie.

Zu guter Letzt: Muss der Kulturbetrieb krisenfester gemacht werden?

Für mich scheint hier die Bereitschaft zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme wichtig. Es braucht einen breiten Diskurs über die Nachhaltigkeit von Kulturangeboten und Kultureinrichtungen. Um dies anschaulich zu erklären, würde ich gerne ein Bild aus der Forstwirtschaft nehmen: Dort geht es ja nicht darum, keinen Baum zu fällen. Vielmehr geht es darum, den Baumbestand so zu bearbeiten, dass der Bestand des Waldes generationsübergreifend gesichert wird. Dieses Handlungsprinzip kann auf den Kulturbetrieb angewandt werden: So gilt es auch in der Kultur genauer hinzuschauen und den kulturellen „Baumbestand“ nachhaltig und damit zukunftsfähig zu gestalten, auch gegenüber Krisensituationen.

———————————————————————————————————————————————————

Corona-Maßnahmen Kultur

Künstlermaßnahmenpaket I (sprachgruppenübergreifend)
Ziel: schnelle Unterstützung freischaffender Künstler; Sichtbarmachung, dass auch für Kunst und Kultur Hilfsmaßnahmen erbracht werden.

Ergebnis: 430 Anträge x 600,00 Euro = 258.000,00 Euro

Künstlermaßnahmenpaket II (sprachgruppenübergreifend)
Ziel: Unterstützung freischaffender Künstler und Vermittlung von „Plattformen“, um Kunst und Kultur wieder sichtbar zu machen

Ergebnis: 530 Anträge x 3.000,00 Euro = 1.590.000,00 Euro

Flexibilisierung von Planungsvorhaben und Abrechungsmodalitäten
Ziel: Sicherstellung der Liquidität sowohl der privaten Organisationen/Vereine/ Verbände als auch der Körperschaften mit Landesbeteiligung sowie Adaptierung der Fördermaßnahmen vor dem Hintergrund der coronabedingten Ausnahmesituation

Ergebnis: Anerkennung von angefallenen Kosten auch für nicht durchgeführte bzw. verschobene Veranstaltungen und Aktivitäten

Verlagsförderung
Ziel: Sicherstellung der Verlagsförderung

Ergebnis: Anwendung des höchstmöglichen Fördersatzes von 70 Prozent

Ausfallentschädigung von Gastveranstaltungen in Bildungshäusern und Jugendherbergen
Ziel: Sicherstellung der Liquidität von Einrichtungen

Ergebnis: rund 1,9 Millionen Euro

Aufstockung der Mittel für die Digitale Bibliothek biblio24
Ziel: Zurverfügungstellung von digitalen Leseangeboten in der Phase, in der die Bibliotheken im Land geschlossen bleiben mussten

Ergebnis: Steigerung der Entlehnungen um 54 Prozent gegenüber dem Jahr 2019. Die angemeldeten Nutzer sind um 116 Prozent im Vergleich zum Vorjahr angestiegen.

Willst du mehr? Folge LP auf Facebook und Twitter oder erhalte deine Kopie direkt zu Hause!