Wenn helfen Berufung ist
Südtirols Bedarf an Pflegekräften wird in den kommenden Jahren weiter steigen. Da ist es gut zu wissen, dass bereits heute eine qualitativ gute Ausbildung im Bereich Pflege und Soziales angeboten wird.
Hannah Arendt und Emmanuel Lévinas – eine Politikwissenschaftlerin und ein Philosoph sind die Namensgeber der beiden Landesfachschulen für Sozialberufe, an denen Fachkräfte für den Sozialbereich eine fachlich fundierte Ausbildung genießen und umfassend auf ihren Beruf vorbereitet werden. Es handelt sich dabei um Ausbildungen mit Zukunft und mit Beschäftigungsgarantie: Die Fachschulabgänger finden meist umgehend Arbeit, und der Bedarf an Fachkräften im Sozialbereich dürfte in den kommenden zehn Jahren bei 2.000 liegen.
„In der Begegnung eines Menschen mit dem Anderen geschieht Wesentliches, Absolutes: Offenbart sich das Antlitz des Anderen, entdecke ich, dass die Welt nur in dem Maße mir gehört, in dem ich sie mit dem Anderen teile.“ So lautet eine der Kernaussagen des französisch-litauischen Philosophen Emmanuel Lévinas, dessen Namen die italienischsprachige Fachschule für Sozialberufe in Bozen trägt. Das Denken Lévinas soll den jungen Menschen, die sich für eine Ausbildung im Sozialen entschieden haben, als Wegweiser dienen.
Mit Bedacht ausgewählt wurde auch der Namen der deutschsprachigen Fachschule für Soziale Berufe: Hannah Arendt, die deutsch-amerikanische Politiktheoretikerin, die wie Lévinas jüdische Wurzeln hat, steht für Werte wie Demokratie, Gerechtigkeit und Partizipation. Die Landesfachschule für Sozialberufe mit Hauptsitz in Bozen und Außenstellen in Meran und Brixen versteht sich als Kompetenzzentrum für die Aus- und Weiterbildung im Sozialbereich und bildet unter anderem Pflegehelfer und Sozialbetreuer aus, zwei Berufe, die in Pflegeheimen, Krankenhäusern, Kliniken und Behinderteneinrichtungen eine Schlüsselrolle spielen.
"Unser Bildungsmodell baut auf den drei Säulen Wissen, Können und soziale Kompetenz auf." Luigi Loddi
„Die Stärke unserer Schule“, sagt Direktor Luigi Loddi, „liegt in unserem Bildungsmodell, das auf den drei Säulen Wissen, Können und soziale Kompetenz aufbaut. Beim Eintritt in die Arbeitswelt müssen unsere Absolventen in der Lage sein, einen Beziehungsberuf auszuüben und dessen Stellenwert kennen. Auch der theoretische Unterricht erfolgt nicht nach Fächern sondern nach beruflichen Kompetenzen.“ So gliedert sich die vierjährige Ausbildung in den Bereichen Pflege und Soziales in zwei Biennien: In den ersten zwei Schuljahren setzen sich die Schülerinnen und Schüler sowohl mit allgemeinbildenden, als auch mit so genannten Profilbereichen wie Naturwissenschaft, Kommunikation und Gesellschaft, Gesundheit und Hygiene sowie Wohnen und Ernährung auseinander. Im stark berufsspezifischen zweiten Biennium sind zusätzlich zu den allgemeinbildenden Fächern und spezifischen fachtheoretischen Inhalten auch Praktika in Sanitäts- und Sozialeinrichtungen vorgesehen. Besonders im zweiten Biennium orientiert sich der Unterricht an den beruflichen Kompetenzen, aus denen sich schulische Lernfelder ergeben.
„Im Rahmen solcher Lernfelder, die vier bis acht Wochen umfassen können, entwickeln alle Lehrpersonen (Arzt, Psychologe, Physiotherapeut, Soziologe etc.) gemeinsame Ziele“, erklärt Loddi. „Geht es im Unterricht beispielsweise um das Thema Demenz, gehen alle Lehrpersonen in ihrem Unterricht mit dem Ziel darauf ein, den Schülern ein interdisziplinäres Wissen zu vermitteln, da sie in einem Beziehungsberuf ja nicht mit einer Pathologie, sondern mit einer Person konfrontiert sind. Wir analysieren also, wie sich die Person ernährt, wie sie mit anderen Personen in Beziehung tritt, wie sie spricht, wie es um ihre Gesundheit bestellt ist, welche Haltung sie einnimmt und anderes mehr.“ Es sei notwendig, die Jugendlichen dazu anzuregen, interdisziplinär zu denken und zu handeln, fordert Loddi, der darauf verweist, wie hilfreich es beispielsweise sei, über die Verbindungen zwischen Psyche und Krankheit Bescheid zu wissen.
Jedes Lernfeld schließen die Schüler mit einer Prüfung ab. Sie werden dabei mit einem Modellfall befasst, den sie unter Zusammenführung von theoretischem und praktischem Wissen bearbeiten. Dabei werden sie von einem Team aus drei Lehrpersonen bewertet. „Das Konzept der Interdisziplinarität kommt also auch bei diesen Prüfungen zum Tragen“, betont der Fachschuldirektor. Im Laufe eines Jahres werden vier bis fünf solcher Lernfelder mit fachspezifischen Themen vorgesehen. Ein Drittel des Ausbildungsjahres verbringen die Schülerinnen und Schüler in Gesundheits- oder Sozialeinrichtungen, wo sie Praktika durchlaufen. Jeder Schüler absolviert zwei Praktika pro Jahr. Bei 500 Schülern sind das 1.000 Praktika, die im Schnitt fünf Wochen dauern.
Die enge Verknüpfung von Theorie und Praxis bildet auch eine der Stärken der Lehrgänge der italienischsprachigen Fachschule „Lévinas“. „Alle unsere Ausbildungen“, unterstreicht Direktor Alberto Conci, „umfassen Labortätigkeit und Praxisarbeit wie Hygiene, Pflege, Krankenpflege, Physiotherapie oder die Verwendung von Hilfsmitteln. Die Schule ist so ausgestattet, wie die Sozial- und Gesundheitseinrichtungen, manchmal sind die Einrichtungsgegenstände sogar noch moderner. So können die Jugendlichen alle Tätigkeiten und Abläufe einer soziosanitären Einrichtung kennenlernen und einüben.“ Auch die italienische Landesfachschule „Lévinas“ misst den Praktika, die die Schüler in den Landesstrukturen oder in Österreich absolvieren, große Bedeutung bei und baut auf die enge Zusammenarbeit zwischen Fachlehrperson und betrieblichem Tutor. Der erfolgreiche Abschluss eines Praktikums spielt eine wichtige Rolle bei der Gesamtbewertung. Lehrgänge werden ebenfalls an den drei Standorten Bozen, Meran und Brixen angeboten.
Aber was sollten Jugendliche mitbringen, die eine Fachschule für Sozialberufe besuchen möchte? „Vor allem Interesse und Motivation am Lernen und an der Arbeit in einem Bereich, in dem die Beziehung zum Menschen von grundlegender Bedeutung ist. Dieses Interesse kann man nicht erlernen, man verfügt darüber, oder eben nicht“, sagt Direktor Loddi. Auch die Fähigkeit zur Selbstreflexion sei gefragt, da es in der Beziehung zu Anderen immer wichtig sei, darüber nachzudenken, wie man sich ihnen gegenüber verhalten hat und wie man mit ihnen umgegangen ist. „Wie es Maria Montessori gelehrt hat“, sagt Loddi, seien Kopf, Hand und Herz gleichermaßen notwendig. „Man muss den Kontakt mit Menschen mögen“, fährt Loddi fort, „man muss kommunikative Kompetenz mitbringen und sich in andere Menschen einfühlen und sich mit ihnen identifizieren können. All dies ist wichtig, da man ansonsten nicht fähig ist, die Bedürfnisse anderer zu erkennen und zu verstehen.“
"Feinfühligkeit und soziale Kompetenzen sind nötig, wenn man sich für eine Ausbildung im Sozialen oder der Pflege entscheidet." Alberto Conci
„Ich bin es“, führt Loddi aus, „der verstehen muss, was Frau Müller mir heute Morgen sagen will. Ich muss mit ihr in Kontakt treten, auf sie und ihre Bedürfnisse eingehen.“ Der Fachschuldirektor bezeichnet auch die Belastbarkeit als eine wichtige Voraussetzung, da man im Beruf täglich mit den weniger rosigen Seiten des Lebens wie dem Altern, dem Leiden, dem Schmerz, der Depression oder der Aggressivität konfrontiert sei. Da sei es hilfreich, „mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen und über eine stabile Persönlichkeit zu verfügen“, um mit Aggression und Schuldgefühlen umgehen zu können, ansonsten riskiere man leicht ein Burnout.
Für Fachschuldirektor Conci entscheiden sich Menschen für eine Ausbildung im Sozialen oder der Pflege, die gerne in der Nähe anderer Menschen sind, die Menschen beistehen, wenn sie leiden, an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden oder in Notlage geraten. „Es ist klar, dass Feinfühligkeit und soziale Kompetenzen notwendig sind“, weiß Conci. „In einer Zeit, in der es um Wettbewerb geht und Karriere und Einkommen einen hohen Stellenwert genießen, setzen Menschen, die diesen Weg wählen, andere Prioritäten und stellen die menschliche Beziehung und den Menschen in den Mittelpunkt ihres Handelns.“ Und dabei seien sie sich bewusst, dass sie mit Menschen und mit Lebensgeschichten konfrontiert werden, die von Leid, Krankheit und Ausgrenzung oder Hilflosigkeit geprägt sind, mit komplexen Situationen, denen Jugendliche nur gewachsen sein können, wenn sie die notwendigen Veranlagungen mitbringen. Die Arbeit in der Pflege und im Sozialwesen erfahre nicht die notwendige wirtschaftliche und finanzielle Wertschätzung, zeigt sich Conci überzeugt, obwohl sie aus gesellschaftlicher und zwischenmenschlicher Sicht enorme Bedeutung habe.
Der Bedarf an Fachkräften im Sozialbereich und in der Pflege dürfte in den kommenden zehn Jahren weiter steigen. Die Landesregierung hat angesichts der demografischen Entwicklung, des zunehmenden Durchschnittsalters und des angenommenen Anstiegs chronisch kranker Menschen den Fachkräftebedarf auf 2.000 festgelegt. Die Nachfrage nach Sozialassistenten und Pflegehelfern wird weiterhin hoch bleiben, zunehmen wird – laut Fachkreisen – die Nachfrage nach Fachkräften, die bereichsübergreifende Ausbildungen mitbringen, sowohl in der Pflege und im Sozialen, als auch im Bildungssektor.
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