#4 Nachhaltigkeit
Auf einem Bauernhof aus dem 17. Jahrhundert im Ahrntal steht die derzeit modernste Energiespeicheranlage der Welt. Dank eines kleinen Wasserkraftwerks läuft sie völlig klimaneutral.

Der Wasserstoffspeicher auf dem historischen Ahrntaler Gehöft, am Fuße der Zillertaler Alpen, ist das Ergebnis einer einfachen Begegnung. Die Hofbesitzer Anton und Rosa-Maria Griessmair, das Brunecker Team des Konzerns GKN Sinter Metals, der führend in der Entwicklung und Herstellung von Automobilkomponenten ist, und die Forschungs- und Innovationsverantwortlichen des Landes haben gemeinsam das erste „Wasserstoffhaus“ geschaffen. Das Gebäude, das eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft schlägt, ist energetisch völlig autark und wird nur aus sauberer Energie gespeist. Zu verdanken ist dies dem kleinen Wasserkraftwerk der Griessmairs an der Ahr und einem innovativen System zur Speicherung von Wasserstoff, das das GKN-Team im ehemaligen Lärchenholz-Stadel eingerichtet hat.

 

Der Hof in Kasern in der Gemeinde Prettau wird landläufig „Knappenhaus“ genannt. Die früheren Bewohner arbeiteten im Bergbau. Als sich die GKN 1967 im Pustertal niederließ, in einer Zeit, in der ringsum ein Bergwerk nach dem anderen schließen musste, fanden einige von ihnen dort als Arbeiter ihr Auskommen. So auch der Vater von Rosa-Maria Griessmair. „Die Wintermonate mit minus 20 Grad Celsius, der Schnee in den Zimmern und die Kälte überall“ sind ihr noch in „eisiger“ Erinnerung. „Damals wie heute war das kleine Kraftwerk an der Ahr die einzige Möglichkeit, Energie zu produzieren“, erinnert sich Rosa-Maria Griessmair. Die Tochter des Hofbesitzers lebt heute mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Steinhaus und unterrichtet an der dortigen Mittelschule. Das Knappenhaus wurde mittlerweile vollständig renoviert und soll wieder zum Hauptwohnsitz der Familie Griessmair werden. Das Gebäude ist nicht an das öffentliche Stromnetz angeschlossen. Mit der im Sommer produzierten Energie aus Wasserkraft und dem innovativen Wasserstoffspeicher der GKN soll es auch in den Wintermonaten, wenn der Bach gefroren ist, bewohnbar sein.

Im ehemaligen Lärchenholz-Stadel des Knappenhauses in Prettau steht nun ein innovatives System zur Speicherung von Wasserstoff.

Die Anlage besteht aus 1,3 Kilogramm schweren Stahl- und Titan-Zylindern, von denen jeder 220 Liter Wasserstoff aufnehmen kann, der zuvor durch Elektrolyse aus dem Bachwasser gewonnen wird, insgesamt 0,65 Kilowattstunden Energie. Dabei gehen die Wasserstoff-Moleküle mit jenen der Metalle eine elektrochemische Verbindung ein. Dutzender dieser kleinen Zylinder ermöglichen es, 250 Kilowatt Energie im Tank zu speichern. Damit verfügt der Bauernhof über Stromreserven für zwei Wochen, warmes Wasser und Wärme für sieben Tage.

 

2012 startete GKN die ersten Versuche, eine neue wasserstoffbasierte Energiespeichertechnologie zu entwickeln. Das Projekt kostete knapp eine Million Euro, 25 Prozent davon wurden über das Amt für Innovation und Technologie vom Land gedeckt. Auf der Grundlage des Landesgesetzes 14/2006 fördert dieses Südtiroler Unternehmen, die Innovations- und Technologieprojekte ankurbeln. Bei der Projektpräsentation im vergangenen Sommer war Landeshauptmann Arno Kompatscher gemeinsam mit dem Direktor der Landesabteilung Innovation, Forschung und Universität, Vito Zingerle, anwesend.

Ziel von GKN ist es, ganze Mehrfamilienhäuser und nicht nur einzelne Wohnhäuser mit dem „Wasserstoff-Heizkessel“ auszustatten. „Dadurch könnten sich mehrere Familien die Anschaffungskosten, die zwischen 35.000 und 50.000 Euro liegen, teilen“, erklärt der 25-jährige GKN-Planer Martin Beikircher, der einen Master in European Energy Economics in Kufstein, Salzburg und Malaysien absolviert und sich auf intelligente Energiesysteme und „smart cities“ spezialisiert hat. Sich einen Wasserstoffspeicher zuzulegen, werde künftig nicht nur aus ökologischer, sondern auch aus ökonomischer Sicht immer nachhaltiger, unterstreicht er.

Das Wasserstoffhaus in Prettau bietet im Hausinneren gewohnten Wohnkomfort.

GKN Sinter Metals ist Teil eines internationalen Automotive-Konzerns mit Sitz in Großbritannien und 7.400 Beschäftigten in 34 Niederlassungen weltweit. „Die Idee, die chemische Verbindung für die Speicherung von Wasserstoff zu nutzen, entstand beim Experimentieren mit neuen Antriebstechniken für die Automobilbranche“, erinnert sich Beikircher. Die Zylinder seien jedoch zu schwer gewesen, um sie in ein Fahrzeug einzubauen. „Unserer Überlegung nach war die naheliegendste Anwendungsmöglichkeit für diese Technologie daher die Wohnungsheizung“, resümiert der Projektmanager von Hy2green für GKN Sinter Metals. Es handle sich um ein extrem sicheres System. „Im Gegensatz zu anderen Wasserstoffspeichermethoden sorgen die niederen Temperaturen und der niedere Druck unserer Technologie dafür, dass das Gas auch im Falle eines Defekts weder brennt noch explodiert. Bei einem Druckverlust und dem damit verbundenen Temperaturabfall schaltet sich das System von alleine aus“, schildert Beikircher. Der „Wasserstoff-Heizkessel“ ist zudem von langer Lebensdauer und für 1.500 Zyklen ausgelegt. Danach kann das Material des Tanks wieder eingeschmolzen und die Metalle vollständig einer neuen Nutzung zugeführt werden.

 

Die gesamte Technologie kann daher als „klimaneutral“ bezeichnet werden: Kein Teil der Anlage muss nach Ende ihrer Nutzung entsorgt werden. Dieser Aspekt ist auch interessant für den Verein Baubiologie Südtirol, einer „Initiative von Handwerkern, Planern, Baustoffhändlern, Beratern und Interessierten in den Bereichen Baubiologie und nachhaltige Lebensweise“, wie Präsident Stefan Gruber ausführt. Eine Delegation des Vereins unter seiner Leitung war gemeinsam mit Vertretern der nationalen Vereinigung für Bio-Architektur ANAB und jenen des Instituts für Baubiologie und Nachhaltigkeit IBN aus Rosenheim unter den ersten, die das Knappenhaus besichtigen durften. „Gerade nördlich und südlich des Alpenbogens, wo umweltrelevante Themen mit besonderer Sensibilität behandelt werden, ist   der Austausch von Best practice-Beispielen von grundlegender Bedeutung“, unterstreicht IBN-Direktor Winfried Schneider, der sich von der technologischen Lösung am Bauernhof in Kasern beeindruckt zeigt.

Überzeugte Befürworter: Vertreter der GKN Sinter Metals und die Hofeigentümer bei der Vorstellung des Wasserstoffhauses im Sommer 2019.

Wasserstoff ist Teil der Nachhaltigkeits-Strategie des Landes Südtirol in den kommenden Jahren. Ein weiteres Projekt soll in Kürze realisiert werden: Es handelt sich um eine Anlage für die Speicherung von Energie aus Photovoltaik-Paneelen durch einen „Wasserstoff-Heizkessel“ für den NOI Techpark in Bruneck. Auch die Förderer des Technologieparks, die Automotive-Unternehmen des Netzwerks Automotive Excellence Südtirol, setzen auf saubere Energie. Neben Coworking-Büros, einem Veranstaltungszentrum und Konferenzsälen für die Freie Universität Bozen umfasst der Technologiepark auch Photovoltaik-Paneele, die 180 Kilowatt Strom produzieren. Die überschüssige Energie wird in einem Wasserstoff-Kessel gespeichert und kann dank der Verbrennungseinheit, die das System ergänzt, bei Bedarf verwendet werden.

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