Gletscher im Rückzug
Auch in Südtirol steigt die Durchschnittstemperatur und bewirkt, dass die Anzahl der Gletscher schwindet. Das Hydrografische Amt überwacht die Gletscher seit Langem.
Von einem ersten der Südtiroler Gletscher hat sich die Welt bereits verabschiedet: dem Weißbrunnferner im Ultental. Im Rahmen der Tagung „Der Weißbrunn versiegt“ wurden im September 2018 die Massenbilanzmessungen auf dem Gletscher offiziell beendet. Der ehemalige Direktor des damals neu gegründeten Hydrographischen Landesamtes, Paolo Valentini, hatte 1983 die Messungen aufgenommen. Nach einer kurzen Unterbrechung führte seine Nachfolgerin und derzeitige Amtsdirektorin Michela Munari die Messungen fort und stützte sich dabei auf die Zusammenarbeit mit einer Forschungsgruppe des Instituts für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Universität Innsbruck um Georg Kaser.
Die erhobenen Massenbilanzdaten weisen für den 31-jährigen Zeitraum einen Wasserverlust von 19 Millionen Kubikmetern aus, bei einer jährlichen Verdünnung des Gletschers von durchschnittlich 30 Metern. Die Massenbilanz war in diesem Zeitraum nur dreimal leicht positiv. Die absolut schlechtesten Meßwerte brachte das Jahr 2003, wie Amtsdirektorin Munari berichtet. Die Entscheidung, die Messungen auszusetzen, sei schweren Herzens getroffen worden, doch sie bot Anlass, die Aufmerksamkeit auf die Zukunft der Alpengletscher zu richten, die vom Klimawandel bedroht sind und wahrscheinlich in absehbarer Zeit verschwinden werden, wie dies am Weißbrunnferner geschehen sei, betonen Direktorin Munari und ihr Stellvertreter Roberto Dinale.
Südtirols hat in den vergangenen 20 Jahren 30 Quadratkilometer an Gletschern verloren: Die Gletscherfläche ist laut Gletscherkataster von 109,4 Quadratkilometern im Jahr 1997 auf 75 bis 80 Quadratmeter im Jahr 2017 gesunken. Aufgrund dieser beeindruckenden Entwicklung schätzen Fachleute, dass die Oberfläche der Südtiroler Gletscher im Jahr 2030 nur mehr rund 50 Quadratkilometer betragen werde. Sollte keine Trendwende eintreten, so könnte der Begriff „ewiger Schnee“ aus den Geographiebüchern verschwinden, oder zumindest aus jenen über die Ostalpen, wo die Berge niedriger sind. „Sofern es uns gelingt, die globale Erwärmung unter 1,5 Grad zu halten, könnte am Ende dieses Jahrhunderts ein Drittel der Gletscher überleben, anderenfalls erwarten wir einen allgemeinen Gletscherschwund“, sagt Dinale.
Das bedeutet jedoch nicht, dass das Südtirol deshalb Probleme mit der Wasserversorgung haben wird. „Dürreperioden werden in Zukunft häufiger auftreten, aber“, gibt Dinale zu bedenken, „schon heute ist der Beitrag der Gletscher zum Wasserkreislauf im Lande recht bescheiden: Nur in einem kleinen Ausmaß tragen die Gletscher im Vinschgau dazu bei, den Wassermangel im Sommer zu lindern. Dieser kritischen Dürresituation kann nur mit strukturellen und organisatorischen Maßnahmen zur Einsparung und Speicherung von Wasser begegnet werden, wie die Tröpfchenbewässerung oder das integrierte Management von Wasserkraftwerken.“
Auch spricht sich Dinale dafür aus „von den traditionellen fotografischen Erfassungssystemen zu den genaueren satellitengestützten Erfassungssystemen überzugehen“. „Es ist nicht nur ein großes Privileg, sondern auch eine Pflicht, eine so markante wie bedeutende Veränderung zu dokumentieren“, betont Dinale. Auf jeden Fall werde die Überwachung der Südtiroler Gletscher fortgesetzt. Dabei würden die traditionelleren Technologien durch automatische Algorithmen zur Analyse der Satellitendaten ergänzt. So können die Untersuchungsfrequenz erhöht und die Daten jedes Jahr aktualisiert werden: Die Veränderungen sind damit nahezu in Echtzeit zu verfolgen.
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