Im Tal herunten leidet die Lärche
Im kleinen Matscher Tal erforschen Eurac-Fachleute die langfristigen Auswirkungen des Klimawandels auf die Alpen.
Wer bei der Kreuzung in Tartsch nicht weiter der Vinschgauer Straße folgt, sondern nach rechts abbiegt und einer Reihe von Kehren folgt, vor dem taucht nach dem Kirchlein zum Hl. Florinus urplötzlich das Dörflein Matsch mit seinen 458 Bewohnern auf. Mit dem Auto durchquert man es in wenigen Sekunden, nicht ohne zwischen den Häusern Slalom fahren zu müssen. Danach führt die Straße – viele der Abschnitte einspurig – einige Kilometer weiter taleinwärts bis zum Glieshof. Im Herbst verirren sich nur noch wenige Touristen hierher, zur Hauptsaison dagegen herrscht mehr Betrieb: Hunderte Gäste suchen hier jene Ruhe, die nur Seitentäler wie das Matscher Tal bieten können.
Doch hier finden nicht nur Auszeit-Suchende den perfekten Raum für etwas Ruhe. Das Tal mit seinen rund 90 Quadratkilometern Fläche [NG1] ist auch eine Art intensives Freiland-Forschungslabor. Bewusst wurde es für eine bedeutende, langfristige Studie zu den Folgen von Landnutzungs- und Klimawandel ausgesucht – zum einen, wegen seiner topografischen und klimatischen Eigenschaften, zum anderen, weil hier der Mensch seit Jahrhunderten die Hänge bewirtschaftet. Geleitet von Eurac Research, führt die Studie zahlreiche Experten aller dafür nötigen Fachgebiete zusammen: Hydrologen, Geologen, Biologen …
Die Matscher sind es inzwischen schon gewohnt, die Geländewagen mit den Logos der Eurac-Forschungseinrichtung und der Freien Universität Bozen (Unibz) ein- und ausfahren zu sehen. In den vergangenen zehn Jahren haben die Forscher hier eines der dichtesten Mikroklima-Beobachtungsnetze Europas aufgebaut. Damit dokumentieren sie den Klimawandel und lernen, dessen Auswirkungen auf die Ökosysteme zu verstehen. Sie beobachten scheinbar selbstverständliche Phänomene wie die Wasserzyklen, die Dynamik des Schmelzwassers und überwachen Parameter wie die Lufttemperatur, Bodenfeuchtigkeit, Niederschläge und Sonnenstrahlung. Sie messen aber auch weit weniger offensichtliche Daten, etwa die vom Saldurbach zu Tal gebrachten Gesteinsmassen oder – mit ausgeklügelten Sensoren – das von Lärchen und Zirben „getrunkene“ Wasser sowie den Mikro-Zuwachs der Jahresringe. Schließlich nehmen sie auch Kernbohrungen der Ablagerungen am Grunde der Bergseen und lesen daraus die Informationen über die Klimageschichte der vergangenen 10.000 Jahre.
Mit durchschnittlichen Jahresniederschlägen von 525 mm ist das Tal eines der trockensten Gebiete im gesamten Alpenraum. Daher hatten die Bewohner im Vinschgau schon vor Jahrhunderten die Waale angelegt, ein Bewässerungssystem, das inzwischen durch moderne Anlagen ersetzt worden ist. Dennoch: Dieses Tal ist wie ein Brennglas, in dem im Kleinen bereits sichtbar wird, was in Zukunft auch in anderen alpinen Gebieten geschehen wird.
An einem kalten Herbsttag haben die Forscher die Medien geladen: Vier Tage zuvor waren sie im Nordtiroler Ötztal gestartet und haben zu Fuß die beiden Bergsteigerdörfer Vent (AT) und Matsch gleichsam verbunden. Auf dem Weg besichtigten sie mit Fachkollegen verschiedene LTER-Messstationen (ökologische Langzeituntersuchungen) und tauschten einander über Wasser und Staatsgrenzen hinweg aus.
Projektkoordinator Georg Niedrist erklärt, warum sich das Matscher Tal für die Untersuchungen eignet: „Wir finden hier ein geschlossenes Wassereinzugsgebiet vor: Es eignet sich bestens, um die Parameter der hydrografischen Modelle zu kalibrieren.“ Der Gletscher der 3738 Meter hohen Weißkugel befindet sich im Forschungsgebiet. Er erlaubt wertvolle Analysen über die Rolle des Abschmelzens der Gletscher für den gesamten Wasserhaushalt eines typischen trockenen Alpentales. „Die Langzeitstudie“, erklärt Niedrist, „hilft uns, die klimatischen Schwankungen zu charakterisieren und zu erfassen, wie sich diese auf die Kohlenstoffbilanz, das Pflanzenwachstum oder die Biodiversität auswirken.“ Zehn Jahre sind dafür allerdings wenig: Im Zusammenhang mit Klima gehen die Forscher von Zeiträumen von mindestens 30 Jahren aus. Grundsätzlich gilt: Je länger die Forschungsreihen, desto besser verstehen wir die langsamen Prozesse unserer Bergwelt. Das Erhebungsnetz umfasst 19 Stationen, ausgestattet mit verschiedenartigen Sensoren, deren Daten auch mit jenen der Fernerkundung aus dem All verglichen werden. Von der Talsohle bis ins Hochgebirge haben die Forscher außerdem zahlreiche Analysen des Bodens, der Vegetation und der mikrobiellen Gemeinschaften vorgenommen.
Der Hydrologe Francesco Comiti von der Unibz berichtet von anderen Messungen: „Im Saldurbach haben wir einige Rohre installiert, in denen Sensoren automatisch den Sedimenttransport oder die Leitfähigkeit des Wassers messen.“ Seit 2012 erfassen sie auch die morphologische Entwicklung des Gebietes, wie Comiti erklärt: „Wir haben die Arbeiten für die Errichtung des E-Werks genutzt in dem wir eine Reihe von Messgeräten installiert haben. So können wir die Zahl der Steine auf ihrem Weg ins Tal zählen, Auch können wir die Gesamtmenge an Sediment berechnen, die jährlich rund 10.000 Kubikmeter beträgt.“ Im Moment werden diese Daten vor allem dafür genutzt, die hydrologischen Modelle zu validieren, die verfügbaren Wassermengen zu bewerten und Naturkatastrophen vorzubeugen.
Das Biologische Labor des Landes Südtirol überwacht den Saldurbach seit den 80er Jahren. Entlang seines 22 Kilometer langen Flusslaufs befinden sich vier Hauptmessstationen. Eine davon ist auch Teil eines regionalen und gesamtstaatlichen Netzes zur Überprüfung der biologischen Wasserqualität.
Seit 2011 werden weitere physische, chemische und biologische Parameter des Baches überprüft. Über die vier Hauptmessstationen hinaus haben die Forscher im oberen Bereich des Wassereinzugsgebietes 16 weitere kleinere Messstationen an den Zuflüssen aufgestellt, wie Eurac-Mitarbeiter Alberto Scotti erklärt: „Hier prüfen wir chemische Parameter wie den aufgelösten Sauerstoff, pH-Wert, Nitrate und Phosphate. Dazu kommen die interstitielle und benthische Fauna – sprich die im Bereich des Gewässergrundes lebenden, wirbellosen Tiere. Dank Erhebungen oberhalb und unterhalb des E-Werks sammeln wir auch Daten, um zu verstehen, wie sich dieses auf die Biodiversität auswirkt. Es muss nämlich nicht sein, dass eine Zunahme an Biodiversität automatisch eine positive Entwicklung ist.“
Oberhalb der Matscher Alm, nicht weit von den mikroklimatischen Messstationen, steht im Wald eine weitere Messstation. Mittels Elektrosensoren und automatischen Dendrometern messen sie den Wassertransport in den Bäumen: Sechs davon wurden auf Exemplaren der Europäischen Lärche (Larix decidua), vier auf Zirben (Pinus cembra) angebracht. „Wir können die Daten mit den Klimadaten vergleichen, die das Kloster Marienberg seit dem Jahr 1860 sammelt. Aufgrund dieser Daten stellen wir deutliche Veränderungen fest. Mit den steigenden Temperaturen zum Beispiel, gedeihen die Lärchen unterhalb einer Meereshöhe von 1500 Metern nicht mehr so gut, während sie sich auch bis auf 2300 Höhenmeter sehr wohl fühlen.“ Die von den Experten gesammelten Daten fließen in den Datenbanken von LTSER (Long-Term Socio-Ecological Research) zusammen. So können sie mit jenen anderer Berggebiete wie der Sierra Nevada oder der Rocky Mountains verglichen werden. Die Daten über die Artenvielfalt in Matsch werden außerdem in die Datenbank des Naturmuseums Südtirol eingegeben und sind dort öffentlich einsehbar.
Weitere Infos zu den Messungen im Matschertal unter http://lter.eurac.edu/de.
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