Mensch über Maschine
Das internationale Projekt SME 4.0 unterstützt auch Südtirols Kleinunternehmen dabei, die Digitalisierung in Herstellung, Logistik und Organisation voranzutreiben. Erfahrungswerte aus Unternehmen zeigen: Der Faktor Mensch spielt dabei eine wichtige Rolle.
Bei einem von Südtirols Speckproduzenten in Naturns sitzt Abteilungsleiter Davide Trullu an seinem Monitor und überwacht die Verarbeitung des aktuellen von einem eines neuen Kunden, eine kleine, lokale Supermarktkette. Entsprechend den Verpackungswünschen wird der Speck in ein-Millimeter- dicke Scheiben geschnitten, 100 Gramm pro Packung. Der Auftrag kommuniziert dabei direkt mit der Schneidelinie. Auch welche Verpackung und Etikette zu verwenden ist, teilt der Auftrag der Verpackungsmaschine über Fotos mit. Von der Produktion retour kommt beispielsweise die Meldung an Trullu, welchen Produktivitäts- und Effizienzgrad die Maschine erreicht hat, also wie schnell sie war, und wieviel Prozent die Grammatur vom Sollgewicht abgewichen ist. Es wäre schließlich nicht zielführend, wenn die Schneidemaschine meist 102 Gramm anstatt der verkauften 100 Gramm pro Verpackung weiterleiten würde. Die Rede ist von Moser Speck, der stellvertretend für viele Südtiroler Unternehmen als konkretes Beispiel dient.
„Unser Unternehmen begann schon mit 2012 an der Automation seiner Produktion, als das lombardische Wurstwarten-Unternehmen Fratelli Beretta ihr diesbezügliches Know-how mit unserem Unternehmen teilte“, erzählt Wolfgang Waldthaler, HR-Manager und Controller bei Moser Speck. Er sieht die Automation als eine Voraussetzung dafür an, dass eine industrielle Produktion, so klein sie auch sein mag, künftig wettbewerbsfähig bleibt. Mittlerweile ist der Mehrwert dieses Wandels sichtbar geworden, „es hat dazu drei bis vier Jahre gebraucht“, räumt Waldthaler ein. Das größte Problem sei die erforderliche Bereitschaft der Mitarbeitenden zum Wandel gewesen. Obwohl Moser Speck seine Produktionsprozesse schon automatisiert hat, ist der Naturnser Betrieb eines der Unternehmen, die sich zum internationalen Projekt SME 4.0 (engl. Abkürzung für KMU, Small and Medium Enterprizes) angemeldet hat. Die Freie Universität Bozen ist der Südtiroler Projektpartner. SME 4.0 verfolgt das Ziel, kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) dazu zu verhelfen, von digitalen Technologien stärker zu profitieren und mögliche oder zusätzliche Automatisierungen von Produktionsabläufen in Erwägung zu ziehen und letztlich zu verwirklichen.
„Gerade KMU stellen das Gerüst dar, auf das sich Südtirols und ebenso die italienische Wirtschaft stützt. Dasselbe gilt für viele andere Länder in Europa und der Welt.“ Dominik Matt
Es handelt sich dabei um ein internationales Projekt, das über das EU-Programm Horizon 2020 finanziert wird. „Gerade KMU stellen das Gerüst dar, auf das sich Südtirols und ebenso die italienische Wirtschaft stützt. Dasselbe gilt für viele andere Länder in Europa und der Welt“, erklärt Dominik Matt, Professor für Produktionssysteme und Industrielogistik an der Freien Universität Bozen (Unibz) und erster Ansprechpartner in Südtirol für das Projekt SME 4.0. Eine internationale Zusammenarbeit sei daher sinnvoll, weil dies Forschungsressourcen spare. Partneruniversitäten im Projekt sind neben Unibz etwa die Montanuniversität Leoben (A), die Technische Universität von Kosice in der Slowakei, die Chiang Mai University in Thailand oder das US-amerikanische Massachusetts Institute of Technology (MIT). Intensive Forschung und Vernetzung mit der Wirtschaft sei deshalb notwendig, erklärt Matt weiter, weil besonders Kleinunternehmen den Schritt in Richtung mehr Digitalisierung oder gar Automatisierung nur sehr zögerlich setzten. In puncto Wettbewerbsfähigkeit sei deshalb der optimale Zeitpunkt oftmals schon verstrichen. Es gehe also darum, die Zusammenhänge besser zu verstehen, allem voran die kulturellen und damit menschlichen Aspekte, die ein KMU prägen. So könnten die Projektpartner in einem zweiten Moment den Unternehmen Knowhow und gezielte Werkzeuge bereitstellen, um deren Unsicherheiten in diesem Zusammenhang zu überwinden. Zudem fehlen den KMU Matt zufolge oftmals die Ressourcen. „So riskieren sie, vom Weg in Richtung stärker digitalisierter Abläufe ausgeschlossen zu sein und an Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen“, sagt Matt in einem Video, das anlässlich eines aktuellen Treffens der Partneruniversitäten des Projekts entstand (ww.sme40.eu).
Im Projekt geht es um die Digitalisierung von drei Bereichen: Produktionsprozesse, Logistik und Unternehmensorganisation. Weiters unterteilt sich das Ziel in drei Ebenen. Als erstes gilt es, die Bedürfnisse der KMU in diesem Zusammenhang zu definieren und jene Elemente oder Schnittstellen wie etwa intelligente Assistenzsysteme oder Internet-of-Things-Lösungen ausfindig zu machen, die dafür geeignet sind. Als zweites sind Konzepte und Strategien für smarte Produktionsabläufe oder Logistiklösungen auszuarbeiten und als drittes spezifische Organisations- und Managementmodelle für smarte KMU zu entwickeln.
An einem Workshop für Unternehmen, das die Projektgruppe SME 4.0 2017 in Bozen organisiert hatte, nahm auch die Firma Progress Maschinen & Automation teil. Das Brixner Unternehmen ist mit seinen rund 120 Mitarbeitern eines der größeren, die bei diesem Projekt mitmachen. Managing Director Markus Kostner, bewertet die Initiative als „sehr positiv“. Denn sie habe bei Progress „die Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen angetrieben“. Ein derartiger Treiber könne dem Unternehmen zu Wettbewerbsvorteilen verhelfen.
Der Maschinenbauer und Hersteller von Betonfertigteilen hat zunächst über den Fragebogen von SME 4.0 eine Ist-Analyse durchlaufen. Dabei haben sich zwei Ebenen für eine weitere Digitalisierung der Abläufe und des Datenflusses in der Produktion herauskristallisiert. „Die eine betrifft die Produktion des Maschinenbauers Progress in Brixen, der Sondermaschinen und schlüsselfertige Werke für externe Hersteller von Betonfertigteilen herstellt“, erklärte Kostner der LP-Redaktion. „Beim Zusammenbau der Maschinen ist ein komplexer Datenfluss erforderlich, dazu zählt etwa der Datenrückfluss für eine professionelle Qualitätskontrolle“, sagt Kostner. Hier gelte es, den Datenfluss noch stärker zu digitalisieren. „Eine ganz entscheidende Rolle spielt die Digitalisierung zudem in den Fertigungsstätten unserer Kunden“, sagt Kostner über die zweite Ebene. Auch hier beschäftigt sich der Maschinenbauer zunehmend mit dem Thema Industrie 4.0.
Die Zusammenarbeit mit der Fakultät für Naturwissenschaften und Technik von Unibz, speziell dessen Smart Mini Factory Lab, habe Kostner zufolge zu einem „wertvollen Follow-up geführt“: Zwei Masterstudierende hätten im Rahmen eines Studienprojekts gemeinsam mit Mitarbeitenden von Progress ein Konzept für die Digitalisierung von Montagearbeitsplätzen entwickelt. Dieses Follow-up kam zustande, obwohl sich das Projekt SME 4.0 erst in Phase 1 befindet, in der das Sammeln von Daten für die Analyse der diversen Anforderungen ansteht. Phase 2 sieht dann ab Januar 2019 die Zusammenfassung der Erkenntnisse und die Ausarbeitung von Empfehlungen in den drei Bereichen Produktion, Logistik und Organisationsmodelle vor. Weil die Bedürfnisse des Unternehmens aber jetzt akut waren, hat das Team rund um Matt eine Abkürzung der Wege gefunden. „Wir sind flexibel, wenn es irgendwie geht“, sagt der Professor.
Auch bei Moser Speck ist der Digitalisierungsprozess noch lange nicht abgeschlossen: „Wir möchten als nächsten Schritt schauen, ob und wie wir Elemente der Augmented Reality in unsere Fertigungsprozesse integrieren können“, sagt Waldthaler. Nach seiner Erfahrung empfiehlt er, viel stärker auf das Change- Management in Zusammenhang mit den Mitarbeitern zu setzen – erst ihre Akzeptanz des geplanten Wandels ermögliche es, Nägel mit Köpfen zu machen. „Die technischen Aspekte sind weit weniger komplex“, betont Waldthaler. Dabei könnten die Sorgen und Ängste der Mitarbeiter mit ihrer stärkeren Einbeziehung durchaus überwunden werden. „Ein Mitarbeiter verliert nicht an Wert, nur weil eine Maschine seine Arbeit unterstützt – im Gegenteil! Wenn er das Unternehmen bei diesem notwendigen Wandel unterstützt, gewinnt seine Position sogar an Bedeutung“, sagt Waldthaler. Er steht in Hörweite von Abteilungsleiter Trullu, der die Maschinen für den nächsten Kundenauftrag überwacht. Dieser lächelt: Er hätte sich nie gedacht, dass Automation die Qualität seiner Arbeit so viel interessanter machen würde, sagt er schmunzelnd.
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