Digitale Schokolade
Auch in kleinen Unternehmen entstehen große Ideen. Und sie werden umgesetzt. So ermöglicht digitale Transformation perfekte Schokoladeskulpturen – und andere Produkte.
Was haben die perfekte Schokoladenskulptur zur Dekoration einer Torte aus einer Lüsener Konditorei und die futuristischen Fassadenkonstruktionen der weltweit verstreuten BMW-Firmensitze des Brixner Fassadenspezialisten Frener & Reifer gemein? Es ist die digitale Transformation der Herstellungsabläufe, die als Vorhof zum eigentlichen Unternehmen 4.0 gilt. Die Herausforderung betrifft eben nicht nur die größeren Unternehmen, die in der Regel über Mittel für strategische Investitionen verfügen: Vor allem kleinere Betriebe des traditionellen, produzierenden Gewerbes sind gefordert – etwa die Holz- oder Steinbearbeitung oder eben Konditoreien. Und gerade in diesen KMU, die das Herz der Südtiroler Wirtschaft darstellen, lässt sich mitunter eine unerwartete Bereitschaft zur Innovation feststellen.
Gasser BROThers in Lüsen beschäftigt 75 Mitarbeitende in acht Bäckereien beziehungsweise Konditoreien im ganzen Land. Die drei Brüder Christian, Michael und Oliver Gasser haben als erstes Unternehmen in Südtirol eine Maschine gekauft, die mit einem Wasserstrahl Schokolade, tiefgekühlte Sahnetorten oder Marzipandekorationen in jedem kleinsten Detail modelliert. Die drei unterweisen heute auch ihre Lehrlinge darin, wie man über einen modernen Touchscreen die Maschine steuert und eine völlig automatisierte und doch individuelle Kreation herstellt – ob es nun eine ganze Hochzeitstorte ist oder eine Marzipanrose. Jemand könnte sich fragen, ob die Anwendung dieser Technologie im Widerspruch zum Prinzip des Handwerks steht. Christian Gasser, der auch die Unternehmenskommunikation verantwortet, verneint vehement: „Der Bäcker muss Handwerker bleiben. Die Maschinen ersetzen ihn nicht, sie unterstützen, sie ergänzen seine Arbeit.“ Auf diese Weise integrierten die Menschen die Maschinen immer besser, so dass sich daraus das intelligente Unternehmen entwickelt – eines, das es mit anderen Unternehmen der globalen Welt aufnehmen kann. Neben Maschinen, die komplexe Nahrungsmittel gestalten, bevölkern immer mehr Automaten den Markt, die nicht nur mit dem Menschen interagieren, sondern auch aus den eigenen Fehlern lernen. Sie kommen etwa zum Einsatz, wenn es gilt, empfindliche Produkte aus der Natur wie Obst, beispielsweise Beeren, oder Holz zu verarbeiten. Wer sein Geschäft mit Schwarzbeeren, Himbeeren oder Erdbeeren macht, weiß um ihre Druckempfindlichkeit. Ein Fließband ist daher die ideale Art des Handlings. Die darin integrierten Waagen und deren Software errechnen, wie viele Beeren es braucht, um eine 125-Gramm-Packung zu füllen. Auch kleinste Abweichungen in der Grammatur können die Qualität des Endprodukts beeinträchtigen und damit die Profitabilität. Daher muss die Steuerung immer wieder kontrollieren, ob die Berechnung der notwendigen Beeren zu korrigieren ist, um möglichst genau das Soll-Gewicht zu erreichen. Dies ist das Metier, in dem sich die Terlaner TopControl spezialisiert hat. Das Unternehmen mit 60 Mitarbeitenden, das Michael Saltuari 1991 gründete, gilt als ein international bekannter Player für die Automatisierung in der Lebensmittelindustrie. Es erhält Aufträge aus China ebenso wie aus Chile, aus Südafrika wie aus Ägypten, gewann aber laut eigenen Angaben zunächst sämtliche Obstgenossenschaften im Lande für seine Produktionssteuerungs-Software namens FruitManager – damit handelt letztere rund eine Million Tonnen Äpfel im Jahr. Dann wandte sich Saltuaris Unternehmen den Produzenten von Beeren zu, die immerhin 164 Hektar bebauen – bei einer Gesamtfläche von 216.251 Hektar, zwischen Anbauflächen, Weideland und Wiesen.
Auch in kleinen Unternehmen entstehen große Ideen. Und sie werden umgesetzt. So ermöglicht digitale Transformation perfekte Schokoladeskulpturen – und andere Produkte.
„Der Bäcker muss Handwerker bleiben. Die Maschinen ersetzen ihn nicht, sie unterstützen, ergänzen ihn.“ Christian Gasser
Vor ein paar Jahren brachte TopControl auch die Software StatisticsWeights auf den Markt, die in Kombination mit Systemwagen die Produktionsdaten in der Lebensmittelindustrie erfasst, diese auswertet und die Produktivität ermittelt. Beispielsweise erfährt ein Manager, welche Mengen eine bestimmte Waage pro Konfektion abgewogen hat, wie viel Zeit der Mitarbeiter dafür benötigt hat und wieviel er aussortiert hat. Für die Lagerhaltung vertreibt TopControl hingegen StorageMove, eine Software, die laut Saltuari „eine ähnliche Innovation darstellt, wie es das GPS für digitale Landkarten tut“. Das System lokalisiert und bewegt Behältereinheiten innerhalb der Kühlzelle und lässt sich über einen Monitor steuern. Sogar 20 Kühlzellen kann die Software steuern. Sensoren sagen dem Gabelstapler, wo er die gesuchte Ware findet.
Selbst in Tischlereien hat die Automatisierung Einzug gehalten, mit den CNC-Maschinen (Computerized Numeric Control) etwa, die dank moderner Steuerungstechnik auch komplexe Holzelemente mit hoher Präzision automatisch herstellen. Auf diese Weise stellt etwa die InternElement in Klobenstein sein Kraxlboard her. Dieses Trainingsboard für Kletterer habe laut Inhaber Georg Oberrauch (34) das Unternehmen am Ritten international bekannt gemacht. Er und sein Bruder Peter, die das Unternehmen von ihrem Vater übernommen hatten und etwa zehn Mitarbeiter beschäftigen, haben dieses neu ausgerichtet und machen heute knapp eine Million Euro Jahresumsatz. Ausschlaggebend dafür war die Crowdfunding-Plattform des Landesverbands für Handwerker lvh. apa. „Mit Zuschüssen des Landes Südtirol haben wir ein Werbevideo finanziert, das wir dann 2014 über die Plattform erfolgreich lancieren konnten“, erzählt Oberrauch. Seitdem das Produkt auch im Netz zu haben sei, würde sein Unternehmen jeden Tag zwei bis drei Kraxlboards verschicken, und zwar weltweit. „Und die Nachfrage steigt“, sagt er. Auch seine Geschichte zeigt, dass die neuen Technologien und der Online-Vertrieb nicht als Bedrohung für das traditionelle Handwerk anzusehen sind, sondern als Chance, die es zu ergreifen und nutzen gilt, bevor der Markt einen dazu zwingt. Ähnlich sah es Klaus Gschwenter, (37), als er 2002 im Alter von 21 Jahren seine Baufirma in Ridnaun bei Ratschings mit heute einem Dutzend Mitarbeitenden gründete. „Ein Kleinunternehmen muss in der Lage sein, die Kosten einzuschränken“, sagt er. Deshalb habe er eine App entwickeln lassen, die sämtliche Baumaschinen seines Unternehmens auf den verschiedenen Baustellen bequem und digital verwaltet und ihre Funktionalität überwacht. So etwas läuft unter dem Begriff Prozessinnovation. Für Gschwenter ist diese mit einer Investition von 10.000 Euro Wirklichkeit geworden und hat die Arbeitsweise in seinem Unternehmen revolutioniert. Er erfahre so in Echtzeit, wer die Maschine gerade verwendet und wie lange er sie einsetze. Auch könne sein Mitarbeiter Fotos von Details der Baustelle in die App laden; diese fließen dann in die Dokumentation der Baustelle.
"Neue Technologien für die Lagerhaltung stellen eine ähnliche Innovation dar, wie es das GPS für digitale Landkarten tut." Michael Saltuari
Die energetische Effizienz eines fertigen Gebäudes und die Heimautomatisierung ist indes das Fachgebiet der Ekon aus Bruneck. 1999 als einfaches Projektierungsbüro gegründet, hat das Unternehmen in den Folgejahren eine entsprechende Software entwickelt. MyGekko, wie sich das Produkt zur Heimautomatisierung nennt, regelt nach eigenen Angaben den Energieaufwand und den Betrieb von Anlagen wie Rollläden oder Alarmanlage in einem Gebäude derart effizient und funktional, dass der deutsche Fertighaus-Marktführer DFH die Steuerungssoftware für die intelligente Heimautomatisierung standardmäßig in jährlich tausend seiner Häuser einbaut. Ekons Produkte steuern aber auch die Fernheizwerke von Bruneck und Terlan sowie die Krankenhausgebäude von Bruneck, Brixen und Innichen. Das Unternehmen beschäftigt in seinen zwei Sitzen in Bruneck und München 20 Mitarbeitende und erreicht einen Jahresumsatz von mehr als vier Millionen Euro. Im Laufe der Jahre habe es sich immer mehr eine Arbeitsweise angeeignet, die jenem eines Unternehmens 4.0 entspricht: Einerseits überwache und steuere das Unternehmen die Produktionsprozesse in digitaler Form und speichere die Daten in einer Cloud. Andererseits fokussiere es immer stärker auf kundenfreundliche Schnittstellen, um Konzepte wie Internet of Things und Smart City in den Alltag einzuführen. „Unser System ist flexibel und offen und kommt ebenso in der e-mobility zum Einsatz: So ist auch BMW unser Partner“, sagt Hartwig Weidacher, der gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Johann Moser das Unternehmen gegründet hat und führt.
Ein anderes Beispiel, wie Südtiroler KMU aus ihrem Mikrokosmos heraus die globale Welt erobern, ist die Eisacktaler Zingerle AG. Das familiengeführte Unternehmen in Natz/Schabs beschäftigt an seinem Sitz 49 Mitarbeiter – 350 sind es insgesamt in der tätigen Firmengruppe, Vertriebspartner in 30 Ländern weltweit eingeschlossen. Das Unternehmen produziert Festzeltgarnituren sowie Premium-Faltzelte, die nach den Wünschen der Kunden personalisiert werden können. Zu den Kunden des Südtiroler Unternehmens zählt auch der Organisator des Oktoberfestes in München, für den dieses neun Bierzelte ausgestattet hat. Seit 2012 wird für die Oktoberfestzelte auch eigens hergestelltes Sondermobiliar geliefert. Solche Anfertigungen seien nur möglich, weil die Aufträge mit der Produktion digital vernetzt sind und diese steuern, heißt es vonseiten des Unternehmens.
Für die Automatisierung der Produktionsprozesse im Stil 4.0 hat sich Zingerle an ein Südtiroler Vorzeigeunternehmen für Innovation gewandt: Weico aus Feldthurns. Mit seinen 45 Mitarbeitern hat sich das Metallbau-Unternehmen auf die Herstellung von maßgeschneiderten Maschinen spezialisiert. Dank einer innovativen Produktionskette erreichen die Maschinen einen hohen Grad an Präzision – vom Entwurf der Maschine in 3D bis hin zur Herstellung, auch bei Einsatz spezieller Rohstoffe. Eine Marktführerrolle nimmt der Maschinenbauer nach eigenen Angaben auch mit seinen Brückenuntersichtgeräten Weico-Bridge ein, die es vermietet. Sie dienen der Wartung von Brücken. Von der Konditorei zur Energieeffizienz, von der Ingenieursfirma bis hin zur Tischlerei – kaum ein Unternehmen kann sich heute der technologischen Innovation verschließen. Nur wer schneller ist, und besser, vielleicht mithilfe eines externen Partners oder eines vorteilhaften Umfelds, wird gegen Mitbewerber bestehen. Wer sich die Südtiroler Wirtschaft näher ansieht, wird vermutlich bestätigen, dass auch die KMU auf einem guten Weg sind, diese Herausforderung zu meistern.
Es geht in der Online-Plattform des Landesverbandes für Handwerker (lvh.apa) darum, innovative Produkte und Projekte bekannt zu machen und dafür zeitgemäß Finanzierungsmittel aufzutreiben. Sie ist Teil der Plattform Openinnovation-suedtirol.it. Im Jahr 2016 hat der lvh.apa dieses digitale Schaufenster lanciert. Unternehmen können darin ihre Produkte oder Ideen anbieten, während mögliche Investoren Geldmittel für das Voranbringen der Idee investieren können. So kommen die Mittel für Innovationen nicht von klassischen Geldgebern wie Banken, sondern von der Community, also Privatpersonen. Wenn diese von einer Idee überzeugt sind, spenden sie einen Geldbetrag, auch einen kleinen. Am Ende einer festgelegten Zeit werden die Summen gezogen. Das Unternehmen erkennt daran einmal, ob die Mittel für die Umsetzung reichen, aber auch welche Rückmeldungen es vom Markt bekommen hat. Das Land Südtirol hat das Projekt bezuschusst (LG. Nr. 14/2006). Im Juli 2018 ist die Plattform an der Harvard Universität in einer Crowdfunding-Tagung als Beispiel einer innovativen Idee für die regionale Entwicklung präsentiert worden.
Die Plattform hat beispielsweise den Erfolg von Stefan Rottensteiner mitgeprägt. Der 25jährige Rittner hat vor zwei Jahren mithilfe des Crowdfunding 22 schwarze, japanische Rinder der edlen Rasse Wagyu importiert. Deren Fleisch erzielt Preise von bis zu 280 Euro pro Kilogramm, weil es als reich an Omega-3- und ungesättigten Fettsäuren gilt. Rottensteiners Oberweidacherhof hält heute rund 40 solcher Rinder. Seine Geschäftsidee unterstützt hatten zunächst der Innovationsschalter des Südtiroler Bauernbundes, die Freie Universität Bozen und der Beratungsring Berglandwirtschaft (Bring). Die Finanzierung in der Start-up-Phase folgte dann über die Crowdfunding-Plattform. Es ist Südtirols erste Plattform dieser Art und bietet dem Handwerkerverband zufolge den Unternehmen einen Mehrwert dank des regionalen Kontextes der Plattform.
Südtirols Wirtschaft ist von KMU geprägt, stellen sie doch 99,3 Prozent der Unternehmen und geben 75,5 Prozent der Beschäftigten des privaten Sektors Arbeit.
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